Haushaltsrede der Fraktionsvorsitzenden der FWI Annette Korte zum Nachtragshaushalt (HH) 2020(/2021

Rede Nachtragshaushalt vom 03.04.2021

Haushaltsrede der Fraktionsvorsitzenden der FWI Annette Korte zum Nachtragshaushalt (HH) 2020(/2021

Sehr geehrte Damen und Herren!
Sehr geehrter Herr Bürgermeister!

nach der Einbringung des Nachtragshaushalt Ende Februar 2021 waren in der Presse die Überschriften

"Der Bilanztrick und die Corona Katastrophe für den Etat der Stadt“ RN

und

"Langfristig droht Verschuldung“ Stadtanzeiger

zu lesen.

Dann stellte ich mir die Frage, wie sich denn die Haushaltssanierung von 2012 - 2021 ohne den Corona Effekt darstellt.

Seit 2009 gibt es das "Neue kommunale Finanzmanagement“. Von 2009 - 2012 gab es nicht genehmigungsfähige Haushaltssicherungskonzepte mit jährlichen Fehlbedarfen von zwischen 22 und 29 Mio. Euro!

Zum Bilanzstichtag 31.12.2014 betrug der nicht durch Eigenkapital gedeckt Fehlbetrag bereits 78 Mio. Euro. Und laut Vorbericht zum Nachtragshaushalt 2021 liegt die Überschuldung zum 31.12.2019 immer noch bei 78 Mio. Euro!

Das Ziel, durch den Haushaltsanierungsplan die Finanzsituation zu stärken, ist krachend gescheitert!

Dieses desolate Ergebnis hätte durchaus noch schlechter ausfallen können, wenn die Kreditzinsen in den letzten Jahren nicht so rapide gesunken wären. Pures Glück!
Zum Stichtag 31.12.2019 sind allein Liquiditätskredite von 145 Mio. Euro ausgewiesen (bei Verbindlichkeiten von insgesamt 232 Mio. Euro). Das bedeutet, dass jeder Prozentpunkt an Zinserhöhung knapp 1,5 Mio. Euro pro Jahr an Mehrkosten bedeutet!

Dabei ist unbedingt zu beachten, dass den größten Teil der Entlastung die Bürger selbst über die Grundsteuer B erbrachten.
Von 410 auf 825 Punkte, ein Plus von 101% oder ca. 9 Mio. Euro jährlich. Oder anders ausgedrückt: seit 2011 Einnahmeverbesserungen von ca. 69 Mio. Euro.

Um diesen Betrag wäre die Überschuldung höher als ohnehin schon.
Man könnte auch sagen, dass sich die Grundsteuer B auf dem Niveau einer Metropole befindet und die Gegenleistung eher einen dörflichen Charakter haben.
Und man muß auch ehrlich sagen, dass diese enorme Steuererhöhung auf absehbare Zeit wohl eher nicht zurückgenommen wird.

Jetzt hat sich Rot-Grün wieder auf die Fahne geschrieben, Bürgernäher/Bürgerfreundlicher zu sein. Das Zauberwort ist Mit-mach-Stadt! Diese Theorie kann man nur unterstützen - das wird auch langsam Zeit!
Aber ist es bürgerfreundlich, wenn man gefühlte Ewigkeiten auf Termine oder die Bearbeitung von Anträgen wartet? Man das Gefühl hat, dass die eine Hand nicht weiß was die andere macht?
Seit Jahren fordern wir für die Verwaltung ein Personalentwicklungskonzept und Stellenbeschreibungen für jeden Arbeitsplatz. Das, was in der freien Wirtschaft unerlässlich ist, um wirtschaftlich arbeiten zu können, um Personal effizient und optimal einsetzten zu können, ist für unsere Verwaltung ein Buch mit sieben Siegeln. Da hat man uns Fraktionsvorsitzenden im Jahr 2019 einen Bericht zum Stand der Erarbeitung des Personalentwicklungskonzeptes gegeben und ich fragte mich, wie viele Arbeitsstunden wohl in dieses absolut lächerliche Ergebnis geflossen sind. Seit dem ist anscheinend auch nichts mehr in dieser Sache passiert. Aber ist eine optimale Personalplanung nicht unerlässlich für eine völlig überschuldete Kommune?
Wir sagen hierzu ja!

Wenn man dies alles betrachtet, dann sind die vom Kämmerer erwarteten Corona bedingten Belastungen von 850.000 Euro jährlich für die nächsten 50 Jahre eher die Spitze des Eisberges, als der Eisberg selbst!

Die Stadt hat unter den kritischen Augen der Bezirksregierung Münster als Aufsichtsbehörde und mit deren Genehmigung über 10 Jahre einen Haushaltssanierungsplan durchgezogen, der nun eine bilanzielle Überschuldung von 78 Mio. Euro und Liquiditätskredite von 145 Mio. Euro ausweist. Zusätzlich gibt es einen erheblichen Sanierungsstau an Straßen und öffentlichen Gebäuden. Wir stehen also nach 10 Jahren eisernen Sparens in kleinster Weise besser da!

Wäre die Stadt Castrop-Rauxel eine Privatperson, hätte sie sich über das Insolvenzrecht längst einen Neustart ohne Schulden erarbeitet. Einer Kommune steht das aber leider nicht zu.

Ich finde, dass eine arme Stadt wie Castrop-Rauxel, die trotz ihrer Armut ihren Beitrag während der Finanz- und Wirtschaftskrise, der Flüchtlingskrise und nun während der Pandemie bringt, selbst einen Anspruch auf eine gestaltbare Zukunft hat. Allein mit städtischen Mitteln kommen wir aus dieser prekären Notlage in diesem Jahrhundert nicht mehr raus.

Von den Spitzenpolitikern hat sich bisher nur der Bundesfinanzminister, z.B. beim Neujahrsempfang des Landrats Anfang 2020, für ein kommunales Entschuldungsverfahren eingesetzt.
Ich fordere alle Kolleginnen und Kollegen der im Land und Bund vertretenen Parteien auf, die Idee des Entschuldungsverfahrens für die ärmeren Städte nachdrücklich und vehement in ihren Parteien zu vertreten. Es darf keine Zeit verschenkt werden, denn im September schließt sich ein aktuell günstiges Zeitfenster für solch gravierende Entscheidungen!
Die FWI wird sich jedenfalls dafür einsetzten und dieses Ziel intensiv bewerben.

Vielen Dank!

Annette Korte
Fraktionsvorsitzende